Forugh Farrokhzad: Eine wie keine andere
Rund zwanzig Jahre nach dem öffentlichen Verschleierungsverbot im Iran tat die knapp 20-jährige Forugh Farrokhzad Unerhörtes: Als erste Dichterin in der 1000-jährigen Geschichte persischer Dichtung bediente sie sich einer Sprache, welche Männer bisher exklusiv für sich beansprucht hatten: Sie äusserte sich als Liebende und beschrieb Männer als physisches, oft ambivalentes Gegenüber – „entschleierte“ sie gleichsam in ihren Texten. Ihre modernen, expliziten Gedichte wurden von intellektuellen Kreisen im Teheran der 1950er-Jahre als genauso skandalös empfunden wie ihr individualistischer Lebensstil. Bis heute lässt sie ihre iranische Leserschaft nicht kalt, wird entweder als Ikone, die sich dem dominanten Wertesystem verweigerte, gefeiert, oder als unmoralisch abgelehnt.
Forugh Farrokhzad wurde 1935 als drittes von sieben Kindern in eine privilegierte Offiziersfamilie hineingeboren. Von ihrem Vater wurde sie - zu einer Zeit, als die meisten Iranerinnen Analphabetinnen waren – gefördert; sowohl Forugh als auch ihre Schwester wurden Intellektuelle, obschon sie im Teenageralter heirateten.
Mit 13 schrieb Forugh ihre ersten Gedichte. Als sie sich im Alter von 16 Jahren in den 15 Jahre älteren Parviz Shapur, einen entfernten Verwandten, verliebte, willigten die Eltern trotz des grossen Altersunterschieds in die Heirat ein, froh, die eigensinnige, mit einem unabhängigen Geist ausgestattete Tochter im sicheren Hafen der Ehe zu wissen.
Drei Jahre später war die Ehe gescheitert. Parviz hatte seiner jungen Frau zwar ein ausserordentliches Mass an Bewegungsfreiheit zugestanden und sie in ihrem intellektuellen Ehrgeiz gefördert; doch entwuchs Forugh dem Lehrer-Schüler-Verhältnis, das die Beziehung von Beginn weg geprägt hatte, schneller, als die beiden vorausgesehen hatten. Der Schmerz der Trennung von Parviz und insbesondere die Trauer über den Verlust ihres kleinen Sohnes Kamyar, dessen Sorgerecht ihr entzogen wurde, erschütterten Forugh derart, dass sie sich kurzzeitig in psychiatrische Behandlung begeben musste. In ihrem Gedicht „Das verlassene Haus“ schildert sie ihre Gefühle und ihre unbedingte Leidenschaft für die Dichtung:
Ich weiss schon, dort in jenem fernen Haus
Herrscht keine Lebensfreude mehr
Ich weiss schon, ein verlassnes Kind
Weint bitterlich und grämt sich sehr
Ich aber hab verwirrt und tief bedrückt
Den Weg der Sehnsucht eingeschlagen
Der Vers ist mein Gefährte, mein Geliebter
Um seinetwillen muss ich alles wagen.
Zwischen 1955 und 1958 veröffentlichte Forugh Farrokhzad drei Gedichtbände („Gefangen“, „Die Mauer“ und „Rebellion“), welche auf grosse Resonanz stiessen und mehrfach aufgelegt wurden. 1964 erschien der vierte, „Wiedergeburt“, mit dem sie den endgültigen Durchbruch schaffte, 1965 ihr letzter, „Lasst uns an den Beginn der kalten Jahreszeit glauben“. Forugh äussert sich als junge frustrierte Frau, die mit den Begrenzungen, welche ihr die Gesellschaft auferlegt, hadert, und kritisiert in bitteren Worten die Ungerechtigkeiten, welche Frauen in ihrer Gesellschaft widerfahren. Mit ihren Texten stellt sie das traditionelle Bild der stummen, keuschen und unsichtbaren Frau auf den Kopf; sie verleiht ihren Gefühlen und Sehnsüchten öffentlichen Ausdruck und zeigt sich gleichzeitig verletzlich in ihrer Verweigerung gesellschaftlicher Konformität. Forugh Farrokhzad schrieb unverblümt autobiographisch und führte ihre Leserschaft hinter Mauern ins Private – ein geradezu subversiver Vorgang in einem Land, in dem, so die Novellistin Shahrnush Parsipur, „man sogar hinter hohen Mauern flüstert“.In „Die Aufziehpuppe“ schildert sie das Los dieser ans Haus gefesselten Frauen:
Länger, oh ja, noch länger
Viel länger kann man stumm sitzen bleiben…
Man kann genau wie eine Aufziehpuppe sein
Und seine Welt mit zwei Glasaugen sehen
Man kann in einer Schachtel, ausgelegt mit Samt
Den Körper ausgestopft mit Stroh
Jahrzehnte zwischen Tüll und Rauschgold schlafen
Man kann bei jedem leeren Händedruck
Entzückt und grundlos rufen:
‚Oh, ich bin sehr erfreut.‘
Die Männer in Forughs Texten sind auf eine in der persischen Literatur einmalige Art individualisiert – ganz im Gegensatz zu den abstrakten Repräsentationen männlicher Archetypen, welche schreibende Frauen, zu Hause in einer strikt geschlechtersegregierten Gesellschaft, früher zu Papier gebracht hatten. Sie verlieh den erotischen, sinnlichen und sozialen Sehnsüchten von Frauen eine Stimme, und gleichzeitig waren ihre Gedichte auch in linguistischer und formaler Hinsicht eine „Oase des konventionell Verbotenen“. Damit war Forugh Farrokhzad auf eine einmalige Art modern, eine Frau ihrer Zeit.
Das Teheran der 1950er- und 1960er-Jahre, in dem Forugh ihre Gedichte veröffentlichte, war eine schnell expandierende Millionenstadt. Cafés im europäischen Stil, importierte amerikanische Autos und Kinos, die untertitelte ausländische Filme zeigten, waren der letzte Schrei; gleichzeitig boten Bauern vom Land ihr Gemüse auf Eselskarren zum Verkauf an und Dorfbewohner, des Lesens und Schreibens unkundig, baten Passanten um Hilfe beim Entziffern von auf Zettel gekritzelten Adressen von Behördenstellen. Wolkenkratzer erhoben sich neben ärmlichen Stadtteilen ohne Kanalisation. Die öffentliche Verschleierung war zwar bereits 1936 verboten worden; es gab gemischtgeschlechtliche – inzwischen längst wieder abgeschaffte – Schulen und westlich orientierte Universitäten. Doch nach wie vor handelten sich unverheiratete, selbstbewusste Frauen, die sich freizügig kleideten, im Handumdrehen den Ruf ein, unmoralisch zu sein, was wiederum potenzielle Heiratskandidaten abschreckte. Intellektuelle befürworteten zwar die Emanzipation der Frauen, bekundeten jedoch Mühe mit Frauen, die eine Gleichstellung tatsächlich forderten und damit die alte Geschlechterordnung und die männlichen Privilegien infrage stellten. Je unklarer die Trennungslinie zwischen männlicher und weiblicher Sphäre wurde, desto bedrohter schien ihnen die gesllschaftliche Stabilität.
Forughs schonungslos offene Gedichte und ihr unabhängiger Lebensstil gehörten für die Dichterin indes untrennbar zusammen. Sie betonte stets, wie wesentlich die Einheit von Leben und Werk für sie sei. Keine Schönheit im klassischen Stil, war sie attraktiv, zierlich und vital. Sie kleidete, frisierte und schminkte sich nach ihrem eigenen Gusto und wusste sich als Frau in Szene zu setzen. Als sie begann, sich in literarischen Kreisen – ausschliesslichen Männerdomänen – einen Namen als Dichterin zu machen, war sie ständigen sexuellen Avancen ausgesetzt und musste die Missbilligung ertragen, die ihr von männlicher wie weiblicher Seite entgegenschlug. Ihre Gedichte, die regelmässig in Literaturzeitschriften abgedruckt wurden, schürten immer wieder neue Gerüchte, und mehrere Männer aus Literatenkreisen behaupteten, mit Forugh romantisch involviert gewesen zu sein. Ihr frühes Gedicht „Die Sünde“ löste wilde Spekulationen aus:
…
Im Becher funkelte der rote Wein
In seinen Augen funkelte die Lust
Und auf dem weichen Lager zitterte mein Leib
Vor Trunkenheit auf seiner nackten Brust
Gesündigt habe ich, gesündigt voller Lust
Sein Körper zitterte, er sprach kein Wort
Du grosser Gott, ich weiss nicht, was ich tat
Fernab und ganz allein an jenem stillen Ort.
Kritiker griffen in diesen Jahren regelmässig zum Argument, sie bediene sich ihrer Sexualität, um Prominenz zu erlangen. Tatsächlich hatte Forugh Farrokhzad mehrere kurze Affären, bis sie 1958 Ebrahim Golestan kennenlernte, mit dem sie bis zu ihrem Tod acht Jahre später liiert war. Für sie stand fest: Sie würde sich nie wieder dem Diktat eines Mannes unterwerfen, der zwar ihre intellektuelle Individualität befürwortete, aber gleichzeitig von ihr verlangte, sich gesellschaftlichen Konventionen und männlicher Vorherrschaft zu beugen, wie dies ihr Vater und ihr Ex-Mann von ihr erwartet hatten. Forughs Radikalität und Konsequenz sind umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass es in der iranischen Geschichte für sie kein Vorbild gab, an dem sie sich hätte orientieren können; die vielleicht bedeutendste Dichterin vor ihr, Parwin E’tessami (1907-1941) blieb formal ganz der Tradition verhaftet und bewegte sich nie aus dem Schatten ihres Vaters heraus.
Die Begegnung mit Golestan bedeutete eine radikale Wende in Forugh Farrokhzads Leben. Golestan hatte sich als Intellektueller, Prosaautor, Übersetzer amerikanischer Literatur und Dokumentarfilmer einen Namen gemacht und genoss aufgrund seines Erfolgs eine ungewöhnliche finanzielle Unabhängigkeit. Energiegeladen und selbstbewusst, war er Familienvater und 13 Jahre älter als Forugh Farrokhzad, die er in seinem Filmstudio als Assistentin anheuerte. Beide waren sie starke, schöpferische Persönlichkeiten, und lautstarke Konflikte waren keine Seltenheit. Mindestens einmal versuchte sich Forugh nach einem Streit mit Golestan das Leben zu nehmen; sie schluckte Schlaftabletten, wurde aber rechtzeitig gefunden. Wegen ihrer offen gelebte Beziehung mit einem verheirateten Mann war sie ständigen, heftigen Anfeindungen ausgesetzt.
In den Jahren ihrer Zusammenarbeit mit Golestan debütierte Forugh als Regisseurin mit mehreren Dokumentarfilmen, u.a. dem Porträt einer Leprakolonie in Tabriz. „The house is black“ gewann international Preise und überzeugte auch jene Kritiker, die sie als unseriös und schamlos verschrien hatten, von ihrem Talent.
Ihre Dichtung verlieh Forugh Farrokhzad eine unabhängige Stimme, aber keine finanzielle Unabhängigkeit – zweifellos ein lebenslanges moralisches Dilemma für eine Frau, die einen unbändigen Freiheitsdurst verspürte und sich gegen die Benachteiligungen, denen Frauen ausgesetzt waren, öffentlich wehrte. Zeit ihres Lebens verfügte sie nie über eigene materielle Ressourcen, sondern war auf Zuwendungen ihres Vaters, ihres Ex-Mannes und Golestans, der später ein Haus für sie baute, angewiesen. Gleichzeitig focht Forugh Farrokhzad einen endlosen Kampf gegen den Sexismus ihrer (hauptsächlich männlichen) Kritiker und Leserschaft aus. Diese behaupteten beispielsweise, erst Golestan habe die Dichterin in ihr geweckt; bevor ihrer Bekanntschaft mit ihm sei sie „ein stiller, femininer Teich“ gewesen, in dessen Tiefen Golestan „wie ein leuchtender Stein“ gefallen und die „todgeweihte Stille in vibrierende, dynamische Bewegung“ versetzt habe. Wolle sie ernster genommen werden, solle sie ihren spezifisch weiblichen Blickwinkel aufgeben. Das konterte sie folgendermassen: „Es ist natürlich, dass eine Frau einen anderen Blickwinkel hat als ein Mann… Doch glaube ich nicht, dass ich, weil ich eine Frau bin, nur über das Frausein schreiben sollte; das wäre ein Zeichen von Stagnation und fehlender Reife, für mich als Dichterin wie auch als Mensch. … Das Essenzielle ist, ein Mensch zu sein; ob Mann oder Frau, spielt keine Rolle.“
Am 14. Februar 1967 starb Forugh Farrokhzad bei einem Autounfall. Im Versuch, einem entgegenkommenden Wagen auszuweichen, prallte sie mit ihrem Auto gegen eine Wand und erlag noch auf dem Weg ins Krankenhaus ihren Kopfverletzungen. Sie war gerade 32 Jahre alt geworden. Der Beerdigung wohnten Hunderte von Menschen bei. Ihr plötzlicher Tod schockierte den Iran auf ähnliche Weise wie im Jahr 1951 der Selbstmord Sadeq Hedayats. Schien dessen Tod nachträglich ein dramatisches letztes Statement, passend zum schwarzen Pessimismus seiner Texte, war Forughs Tod lediglich tragisch und vor allem verfrüht. Ihre Kritiker rehabilitierten sie post mortem, sühnte in deren Augen ihr Tod doch ihre moralischen Fehltritte. Und als Tote sahen sie die Gefahr einer Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung durch ihre Texte gebannt.
Forugh Farrokhzad war und ist eine der meist besprochenen Dichter und Dichterinnen des Iran. Bis heute ist sie die Einzige, die den Mut hatte, sich derart kompromisslos zu exponieren, und bereit war, den hohen Preis für ihre Unabhängigkeit zu bezahlen.
Quellen:
- A lonely woman: Forugh Farrokhzad and her poetry, von Michael C. Hillmann, Three Continents Press, 1987
- Veils and words: the emerging voices of Iranian women writers, von Farzaneh Milani, Syracuse University Press, 1992
- Jene Tage: Gedichte, von Forugh Farrochsad; aus dem Pers. übertr. von Kurt Scharf, Suhrkamp, 1993